Dem Team der BASE-Kollaboration am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf ist ein Durchbruch in der Antimaterieforschung gelungen: Erstmals konnten die Forschenden ein einzelnes Antiproton – das Antimateriependant des Protons – fast eine Minute lang kontrolliert zwischen zwei Spin-Quantenzuständen hin- und herpendeln lassen. Zu der Kollaboration gehören Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zahlreicher internationaler Institutionen, darunter auch Forschende des Exzellenzclusters QuantumFrontiers der Leibniz ±«²Ô¾±±¹±ð°ù²õ¾±³Ùä³Ù Hannover und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt.
Die nun in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie markiert die weltweit erste Realisierung eines Quantenbits (kurz Qubits) aus Antimaterie. „Dies ist ein Meilenstein, der eine völlig neue Qualität in der Kontrolle von Antiteilchen darstellt, sagt Prof. Dr. Christian Ospelkaus vom Institut für Quantenoptik der LUH, dessen Team an den Arbeiten beteilig ist.
Antiprotonen besitzen dieselbe Masse wie Protonen, tragen jedoch eine entgegengesetzte elektrische Ladung. Beide Teilchen verhalten sich wie winzige Stabmagnete: Ihr so genannten Spin zeigt – vergleichbar mit einer Kompassnadel – in eine von zwei Richtungen. Das präzise Messen des damit einhergehenden so genannten magnetischen Moments, insbesondere durch kontrolliertes „Umklappen“ des Spins, zählt zu den zentralen Werkzeugen der modernen Quantenmesstechnik. Denn hierüber können fundamentale Naturgesetze experimentell überprüft werden.
Bei der in Nature vorgestellten Studie kam die Methode der „kohärenten Spin-Quantenübergangsspektroskopie“ zum Einsatz. Dieses ermöglicht die hochpräzise Manipulation und Beobachtung einzelner Spinzustände. Hintergrund der Messungen war der Test der so genannten CPT-Symmetrie (Ladung, Parität, Zeitumkehr). Sie fordert, dass sich Materie und Antimaterie – abgesehen von ihren entgegengesetzten Ladungen – exakt gleich verhalten. Sie sollten also im Universum auch gleich häufig auftreten. Tatsächlich aber zeigt die Welt eine erhebliche Asymmetrie: Sie besteht nahezu vollständig aus Materie. Dies ist ein bis heute ungelöstes Rätsel der modernen Physik.
Bisher konnten solche kohärenten Quantenübergänge beispielsweise an makroskopischen Teilchenensembles oder in der Hyperfeinstruktur gespeicherter Ionen nachgewiesen werden. Die BASE-Kollaboration hat nun erstmals einen solchen Spinübergang bei einem einzelnen, freien Kernspin eines Antiprotons kohärent demonstriert und beobachtet – was physikalisch und technisch eine enorme Herausforderung ist.
„Eine gute Analogie hierfür ist eine Kinderschaukel“, erklärt BASE-Sprecher Prof. Dr. Stefan Ulmer vom Institut für Experimentalphysik der HHU: „Wird sie mit der richtigen Frequenz angestoßen, schwingt sie rhythmisch hin und her. In unserem Fall ist die Schaukel der Spin eines einzelnen Antiprotons, den wir mithilfe elektromagnetischer Felder gezielt in Schwingung versetzen. Wir konnten darüber hinaus eine Kohärenzzeit von 50 Sekunden erreichen.“
Die für das Experiment benötigten Antiprotonen wurden in der Antimateriefabrik (kurz AMF) des CERN erzeugt und in sogenannten Penning-Fallen – hochpräzisen elektromagnetischen Instrumenten zur exakten Teilchenkontrolle – gespeichert. Anschließend wurden sie einzeln in ein separates Mehrfachfallensystem überführt, in dem ihre Spinzustände gemessen und manipuliert werden können. „Dies ist nichts anderes als ein Qubit, das aus einem einzelnen Antiproton-Spin besteht“, sagt CERN-Wissenschaftlerin Dr. Barbara Maria Latacz, die Erstautorin der Studie.
Für mehr Präzision für niedersächsische Atomuhren und Quantencomputer
Quanten-Bits oder Qubits spielen an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt und der Leibniz ±«²Ô¾±±¹±ð°ù²õ¾±³Ùä³Ù Hannover eine wichtige Rolle. Die Arbeitsgruppe von Prof. Christian Ospelkaus, die an den Arbeiten der BASE Kollaboration beteiligt ist, entwickelt Quantencomputer basierend auf gespeicherten Ionen. Mit diesen Methoden ließen sich weitere Verbesserungen der Messgenauigkeit an Protonen und Antiprotonen erzielen, indem Rechenoperationen von Quantencomputern auf die „Antiprotonen-Qubits“ angewendet würden. „Durch solche ‚Quantengatter‘ könnte das Antiproton über ein gespeichertes Ion manipuliert werden und der Quantenzustand des Antiprotons auf ein gespeichertes Ion übertragen werden“, so Ospelkaus. An der PTB wird diese Methode auch für Atomuhren und für extrem präzise Spektroskopie an Molekülionen und hochgeladenen Ionen verwendet.
Durch umfassende Verbesserungen am Aufbau gelang es der BASE-Kollaboration, Dekohärenzmechanismen systematisch zu unterdrücken und so die erste kohärente Spektroskopie eines Antiprotonspins zu ermöglichen. Damit erzeugte das Forschungsteam nicht nur ein stabiles Antimaterie-Qubit, sondern sie ermöglichten auch völlig neue Messmethoden.
Der nächste große Schritt ist bereits geplant: Mit dem neu entwickelten BASE-STEP-System sollen Antiprotonen künftig in transportablen Präzisionsfallen aus dem Umfeld der AMF in besonders präparierte Präzisionslabore gebracht werden. Dort können bis zu zehnmal längere Spinkohärenzzeiten erzielt und damit eine weit höhere Messgenauigkeit erreicht werden.
Die BASE-Kollaboration
Die 2012 gegründete Kollaboration mit Sitz an der AMF am CERN umfasst Forschungsinstitute in Deutschland, Japan, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz. Zu ihr gehören:
- Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Braunschweig
- GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung GmbH, Darmstadt
- Heinrich-Heine-±«²Ô¾±±¹±ð°ù²õ¾±³Ùä³Ù Düsseldorf
- CERN, Genf
- Leibniz ±«²Ô¾±±¹±ð°ù²õ¾±³Ùä³Ù Hannover
- Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
- Imperial College London
- Johannes-Gutenberg-±«²Ô¾±±¹±ð°ù²õ¾±³Ùä³Ù Mainz
- RIKEN, Japan
- ±«²Ô¾±±¹±ð°ù²õ¾±³Ùä³Ù Tokio
- ETH Zürich
Originalpublikation:
B. M. Latacz, S. R. Erlewein, M. Fleck, J. I. Jäger, F. Abbass, B. P. Arndt, P. Geissler, T. Imamura, M. Leonhardt, P. Micke, A. Mooser, D. Schweitzer, F. Voelksen, E. Wursten, H. Yildiz, K. Blaum, J. A. Devlin, Y. Matsuda, C. Ospelkaus, W. Quint, A. Soter, J. Walz, Y. Yamazaki, C. Smorra, and S. Ulmer. Coherent Spectroscopy with a Single Antiproton Spin. Nature (2025)
DOI: 10.1038/s41586-025-09323-1